Unerwartet
Kapitel 15
Wunsch, Realitätscheck und was tatsächlich geschah
Unerwartet leichtes Gepäck
Müde von der Reizüberflutung unserer ungewollt kurzen «Peru und Bolivien Schnellbleiche», geniessen wir die Zeit im Apartment in Buenos Aires zum Ordnen der gesammelten Eindrücke.
Nach mehreren Verzögerungen steht endlich der Abholtermin für Burrito. Trotz kleinerer Verständigungsprobleme sitzen wir nach weniger als einem halben Tag wieder in unserem geliebten Zuhause. Wir packen alles an seinen gewohnten Platz und stellen dabei fest, dass sich dieses «alles» während der Überfahrt um ein paar wichtige Dinge wie Outdoorkleidung und Induktionspfannen reduziert hat. Beim Ersetzen der Outdoorkleidung in Argentinien erfahren wir die Folgen der massiven Inflation und der saftigen Importsteuer auf ausländische Produkte.
Unerwartet eintönig
Nach der Ost-West Querung in Kanada haben wir eine Vorstellung davon, was uns auf den gut 3’000 Kilometern von Buenos Aires ins südliche Patagonien erwarten wird. Ein wenig überrascht sind wir dennoch, dass uns dieser Streckenabschnitt im Vergleich sogar noch eintöniger vorkommt. Ein Fakt, der unseren Fuss drei Tage lang auf dem Gaspedal ruhen lässt.
Unerwartete Zwischenfälle
Der Auftakt zum Argentinien-Chile-Länderhopping macht der Grenzübertritt bei Puerto Natales. Mit einer Dauer von circa 30 Minuten ist er der Längste bisher.
Den Stellplatz im Nationalpark Torres del Paine, den wir im Dunkeln angesteuert haben, entpuppt sich als der schönste unserer bisherigen Reise. Nach der ganzen Fahrerei ist das Glücksgefühl beim Anblick der Berge im Morgenlicht kaum in Worte zu fassen. Der verschlafene Blick aus dem Fenster versetzt uns schlagartig in aufgeregtes Gewusel. Daunenjacke, Schuhe, Kamera und Drohne. Alles dabei, Türe zu.
Dass wir die Türe so schnell nicht wieder aufmachen werden, wird uns in dem Moment bewusst, als wir leicht fröstelnd vor dem Auto stehen und fassungslos zum dritten Mal alle Jackentaschen nach unseren Schlüsseln abklopfen.
In Reiseführern und Blogs liest man von der grossen Hilfsbereitschaft der Argentinier und der vergleichsweise verschlossenen Art der Chilenen. Der Küchenchef der nahegelegenen Lodge überzeugt uns an diesem Morgen mit seiner selbstlosen Hilfe vom Gegenteil. Über ein nicht komplett geschlossenes Dachfenster kommen wir mit etwas Glück wieder an unsere Schlüssel.
Ohne erkennbaren Zusammenhang bereitet uns das gleiche Dachfenster kurz darauf eine nasse Nacht. Drei Küchenpapierrollen, eine Übernachtung in einer Wohnmobilwerkstatt und eine neue Dichtung später sind wir wieder gewappnet für das patagonische Wetter.
Unerwartete Wetterlage
Mit dem tückischen patagonischen Wind haben wir fest gerechnet. Umso mehr überraschen die windstillen Tage, die uns in Torres del Paine begleiten. Vielleicht ist das mit dem Wind doch nicht so ein riesen Ding, wie alle sagen? Als hätten wir ihn durch diese Gedanken heraufbeschworen, schüttelt er uns in den darauffolgenden Nächten in den Schlaf. Hat sich so angefühlt, wie es sich anhört: ungemütlich.
Unerwartetes Kopfzerbrechen
Pläne zu schmieden und sie wieder über den Haufen zu werfen, gehört mittlerweile fest zu unserem Alltag. Wie viel Zeit und Denkarbeit wir dabei in Recherchen stecken und wie stark uns diese ermüden, überrascht regelmässig. Noch mehr als zu Beginn der Reise begleiten uns viele Themen parallel: Etappenziele und die damit verbundenen Grenzübertritte, Gestaltung der restlichen Reise, Verschiffung nach Europa, Wohnungssuche, Versicherungskrimskrams – um nur einige zu nennen.
Die totale Gestaltungsfreiheit ist ein Privileg und gleichzeitig eine Illusion. Denn, viele Faktoren liegen nicht in unseren Händen. Eine Erkenntnis, die nicht immer leicht zu akzeptieren ist.
Unerwartete Nervenprobe
Sie lauern überall, tarnen sich als Hauptstrassen, sind unausweichlich und ähnlich nervtötend wie nicht funktionierende Technik: die Trochas, die Schotterpisten, die sich kilometerweise durch Argentinien und Chile ziehen. Nach mehreren hundert Kilometern, durchgerüttelt vom patagonischen «Powerplate», hören wir uns erleichtert aufatmen, wenn die nächste Teerstrasse am Horizont erscheint.
Unerwartetes Wiedersehen
Alle Wege führen nach Bariloche. Die Schweiz Argentiniens punktet mit Seen, Bergen, Wäldern, Klettern, Wandern, Schoggi und Fondue. Die letzten beiden können mit denen der echten Schweiz jedoch nur schwer mithalten.
Zufällig sehen wir auf Instagram, dass sich zwei Jungs, die wir beim Klettern in Squamish (Kanada) kennengelernt haben, ebenfalls in Bariloche rumtreiben. Bei Pizza schmieden wir Pläne für einen Kletterausflug am nächsten Tag und träumen gemeinsam von all den Gipfeln, die es noch zu erklimmen gibt. Doch das Wiedersehen mit André und Ryan ist nicht das einzige, das uns in Bariloche erwartet.
Zwei Wochen zuvor kreuzten wir bei der Fahrt durch Torres del Paine einen roten Artgenossen von Burrito mit schweizern Nummernschild. Wir hielten einen kurzen Schwatz mit Delia und Mischa, fachsimpelten über unsere Sprinter Modelle und tauschten Nummern aus. Dass aus dieser kurzen Begegnung wenig später eine gemeinsame Reisewoche wird, hätten wir wohl alle nicht gedacht. Wir erkunden zusammen die Region um Bariloche, dürfen Teil der ersten Outdoor Klettererfolge von Delia und Mischa sein, kochen gemeinsam über dem Feuer, testen die Offroadfähigkeiten unserer Sprinter, essen und spielen zu viert im roten Gefährten von Burrito und vergessen die Zeit bei tollen Gesprächen. Was für eine wundervolle Ergänzung zum bisherigen Unterwegssein.