Cowboys on Mars
Kapitel 6
Und andere verrückte Abenteuer aus den Nationalparks
Mit dem Stop in San Francisco lassen wir die Pazifikküste hinter uns. Ohne die frische Meeresbrise klebt das T-Shirt am Körper. Es lässt uns beinahe vergessen, dass wir die Daunenjacke erst gerade noch ständig in Griffnähe hatten. Einmal mehr sind wir dem Herbst einen Schritt voraus.
Abgekapselt
Im Dunkeln verraten nur die steilen Kurven und die Höhemarken am Strassenrand, dass uns vom Meer rund 2000 Höhenmeter trennen. Den Ort South Lake Tahoe hatten wir bis kurz vor der Abreise nicht im Visir. Im ausgeliehenen Kletterführer lesen wir, es sei ein lohnenswerter Stop.
Schnell ist klar, das aus dem kurzen Zwischenstop doch ein längerer Aufenthalt werden könnte. Angetan von visuell spektakulären Kletterrouten steuern wir die Phantom Spires an – eine Gruppe massiver Granitpfeiler, die auf dem hügeligen Gelände über dem Tal thronen. Die Fahrt auf der holprigen offroad Piste zum Parkplatz und Übernachtungsort ist ein Abenteuer für sich. Tagsüber gesellen sich andere Kletterer zu uns, Nachts haben wir den Ort meist für uns alleine. Wir geniessen entschleunigenden Tage ohne Internetempfang und mit Zeit fürs Videoschneiden, Lesen und Schreiben. Und Klettern, natürlich. Unser Timing könnte besser nicht sein, denn jeden Abend bestaunen wir den Sonnenuntergang von einem der Pfeiler. Die Kehrseite: Das schummrige Licht beim Abseilen ist nicht hilfreich, wenn das Seil zwischen den Felsen feststeckt. Nach mehreren kräftezerrenden Versuchen das Seil zu entwirren und zeitweise leicht panischem Gebambel, gelingt es uns dann doch.
Auf das erst mal eine Flasche Wein. Gefolgt vom Rest der Rumflasche. Wäre unser Leben ein Film, hätte der Wine Song von Cat Empire unseren frischfröhlichen Tagesabschluss untermalt.
Starker Wind holt uns mal wieder ins Gedächnis, dass wir im Gebirge sind. Wir wechseln den Kletterspot, machen ein wenig Sightseeing (crashen dabei beinahe die Drohne) und entschliessen uns dann, weiter zu ziehen.
Einbahn
Wer klettert und in Kalifornien ist, der wird unweigerlich auch im Yosemite Nationalpark landen. Kurz vor der saisonalen Passschliessung steuern wir das Tal über den Tiogapass an. Noch vor Sonnenaufgang schlängeln wir uns in Richtung der Granitgiganten, die links und rechts vom Yosemite Valley die Besuchermassen erstaunen lassen. Um eben diese Massen zu zügeln, fährt man durch das Tal auf einer Einbahnstrasse. Wir ahnen, was uns später am Tag noch erwarten könnte und sind dennoch überrascht, an einem (aus unserer Sicht) tollem Fotospot alleine vor El Capitan zu stehen. Zugegeben, ganz alleine sind wir nicht. Eine Gruppe Hirsche posiert für uns am Fluss.
Doch nicht nur sie sind ein beliebtes Fotosujet. Einzeltouristen wie auch geführte Touren halten am Strassenrand, packen Feldstecher und Kameras aus und verfolgen gespannt das Treiben der zahlreichen Kletterpartien, die sich über mehrere Tage die grossen Wände hochkämpfen. Für uns das erste Mal, dass wir realisieren, Teil der Attraktion zu sein.
Es lohnt sich, Karten lesen zu können: Für den Sonnenaufgang nehmen wir die Abkürzung zu einem kleinen Gipfel, der den Blick über‘s ganze Tal und die umliegenden Berge freigibt. Wir geniessen zu zweit die schöne Stimmung und gehen wieder, als die ersten anderen Touristen über den offiziellen Wanderweg kurz nach Sonnenaufgang eintrudeln.
Weniger gutes Timing haben wir was die Wochentage angeht. Unser Aufenthalt fällt auf ein Wochenende – die spürbar ungemütlichste Zeit für einen Nationalpark Besuch: Verkehrschaos, gestresste Menschenmassen und überfüllte Parkplätze. Wir packen das Klettermaterial und steuern unser „Must-Do“ an. Eine kurze Mehrseillänge am Fusse des El Capitan. Kurz heisst jedoch nicht gleich schnell. Ein Friend (mobile Sicherung), der lieber in der Wand bleiben wollte, führt beinahe zu einem nächtlichen Abenteuer. Und natürlich haben wir bei den Phantom Spires nichts dazugelernt und die Stirnlampe im Auto gelassen. Also leuchten wir, das Handy zwischen den Zähnen, den Weg. Und fühlen uns dabei schon ganz cool. Wir gehören sozusagen fast ein wenig dazu. Denn über uns in der Wand gehen gleichzeitig mit den Sternen am Nachthimmel die Lampen an. Ein spektakuläres Bild.
Insidertipp
Wieder auf der Hauptverkehrsachse durchqueren wir Wüstenlandschaften auf über 2000 Metern Höhe. Schon verrückt, wenn man das Bild gedanklich in die Schweiz transferiert. Es ist mal wieder Zeit, Material aufzustocken – denn mehr Klettern führt interessanterweise stets zum Bedürfnis nach noch mehr Klettermaterial. Im lokalen Klettergeschäft bekommen wir den Tipp, uns doch für ein paar Tage im Pine Creek Valley zu vertun. Viel Überzeugungsarbeit braucht es nicht, denn uns erwartet ein Tal voller Sportkletterrouten (Selbstvertrauens-Schub), wenig Menschen, kein Empfang und ein grandioser Sternenhimmel.
Wir geniessen die kalten Morgenstunden mit gutem Kaffee und lassen uns dann von der Sonne wärmen. An den Abenden verwöhnen wir uns mit leckerem Essen – Lenas Lachsburger führt die Liste an.
Offene Fenster bei 80 Km/h
Wieder einmal verstauen wir die Dauenjacke und stocken unsere Wasservorräte auf. Denn; im Death Valley erwartet uns auch im Herbst eine hitzige Fahrt. Wir kompensieren die fehlende Klimaanlage mit offenen Fenstern und Ohropax – so ist es gerade so aushaltbar. Die Natur ist vielseitig und weniger tot, als man vom „Toten Tal“ erwarten würde. Wir waschen uns die Staub- und Schweissschicht in einer Tankstellendusche kurz vor Las Vegas vom Körper. Die Spielautomaten in der Tankstelle sind nur Vorgeschmack von dem, was uns in der verrückten Stadt erwartet. Wir stellen Burrito in einem Parkhaus nahe vom Las Vegas Strip ab und stürzen uns zu Fuss ins Gewimmel. Anstatt Spiel- und Trinklust macht sich bei uns eher ein amüsiert-schokierter Zustand breit. Wohl auch besser so. Denn die Nacht im Bus ist auch so schon erdrückend heiss und ungemütlich. Am nächsten Morgen nochmals kurz Sightseeing bevor die Hitze der Sonne uns weiter ostwärts treibt.
Vogelperspektive
Der einzige Blickwinkel, von dem Touristenmassen harmlos wirken, ist von oben. Das haben wir auf unserer Mehrseillänge im Yosemite Nationalpark gelernt. Als Konsequenz stürzen wir uns in die einzige Wand im Zion Nationalpark, die sich mit unseren Fähigkeiten klettern lässt. Einfach eine geniale Art, in Ruhe zu entdecken und die Weiten des Tals zu bewundern. Wieder unten setzen wir uns in den Bus und fahren eine Rundtour im Tal. Die vorprogrammierte Durchsage erzählt von Kletterern, die man in den roten Sandsteinwänden entdecken kann, wenn man nur ganz genau hinschaut. Kurz darauf hält der Busfahrer an und führt die Blicke der Besucher zu eben diesen Kletterern. Wir schmunzeln und schauen auf den mit dem Kletterseil bepackten Rucksack zu unseren Füssen.
ET und die Elitetouristen
Was haben ET und deutsche Elitetouristen gemeinsam? Kurz gesagt: sie sind beide im Bryce Canyon anzutreffen. Ersterer als eindrückliche Steinformation. Und zweitere als Elitetouristen, die sich stolz auf die Schulter klopfen, nachdem sie die fordernde Rundtour von vier Kilometern und 100 Höhenmetern erfolgreich gemeistert haben. Und wir? Wir staunen, lauschen und schmunzeln – das alles gehört zum Erlebnis dazu.
Abstecher zum Mars
Um auch uns vielleicht irgendwann Elitetouristen schimpfen zu dürfen, holen wir uns die tägliche Bewegungsdosis über ein Workout auf unserem Übernachtungsparkplatz. Nach einem stärkenden Frühstück steuern wir den nächsten Park an: Capitol Reef. Die Fahrt dahin und in den Schluchten des Parks ist fantastisch. Der Herbst hat uns eingeholt. Ein bissiger Wind fegt über die Hochplateaus. Nur wenige Kilometer ausserhalb des Parks suchen wir auf einer öffentlichen Strasse unseren Schlafplatz für die Nacht. Und was wir finden übertrifft alles, was wir erwartet haben. Wir thronen auf einer Klippe, überblicken die geschichteten Bergketten und sehen Burrito im Wind hin und her wanken. Das Wanken wird in der Nacht intensiver. Der sandige Untergrund lässt uns zweifeln, ob die Platzwahl wirklich so gut war. Also parken wir kurzerhand um.
Ausserhalb der Nationalparkgrenzen gibt es erstaundlich viel zu erkunden. Die farbigen Bentonite Hills befinden sich nahe der Mars-Forschungsstation. Nicht ohne Grund. Wir fühlen uns, als hätte man uns direkt auf den Mars gebeamt. Wir verweilen, schiessen Fotos und fahren dann über offroad Pisten durch die Wüste. Die dicken Regentropen auf der Frontscheibe lassen uns kontrolliert das Gaspedal runterdrücken.
Wir haben die Nationalparks ohne konkrete Vorstellung oder Pläne angefahren – und wurden nicht enttäuscht. Die immense Diche an landschaftlich grundlegend verschiedenen Szenerien hat uns vollkommen aus den (möglicherweise ein wenig geruchsintensiven) Socken gehauen.