Mehr Meer
Kapitel 5
…weniger Wand
Auf dem Küstenabschnitt vom Kanadischen Vancouver südwärts bis zum Amerikanischen San Francisco begleitet uns die Frage: Wie wollen wir unser Vagabundendasein bestreiten? Gar nicht so simpel, fehlt uns doch unser bisheriger roter Faden (beziehungsweise: blauer Faden, 80 Meter, 9.0 ⌀).
Lagerloch
Squamish hinterlässt ein beträchtliches „Lagerloch“ [def. Gefühl der Leere, welches häufig nach z.B. einem actionreichen Pfadilager eintritt]. Wir versuchen das Vakuum mit neuen Erlebnissen zu füllen, was unterschiedlich gut gelingt.
In Vancouver treffen wir Nikis Cousin, düsen gemeinsam mit dem Fahrrad durch die Parks, lassen uns den gigantischen Universitätcampus zeigen und geniessen die Weitsicht an einem der Stadtstrände. Wir übernachten ein wenig ausserhalb der Stadt mit Blick auf die Skyline. Als wir gerade das Kamerastativ zusammenpacken wollen, da entdecken wir grüne Schimmer über dem nördlichen Stadtrand. Sie tanzen im Himmel, zuerst nur undeutlich, dann immer intensiver. Nordlichter, die der Lichtverschmutzung der Stadt trotzen – was für ein unerwartetes Naturspektakel.
Reif für die Insel
Vancouver Island markiert das Ende des zweiten Reisemonats und den Abschluss unserer Kanada-Querung. In strömendem Regen fahren wir im Dunkeln von der Fähre. Die kurvige Strasse führt uns auf die andere Seite der Insel. Der Regen lässt nach, die Wolken verziehen sich und legen einen magischen Sternenhimmel frei. So haben wir uns das vorgestellt. Wir geniessen die entschleunigende Wirkung, die die kleinen Fischer- und Surferdörfer Ucluelet und Tofino auf uns haben. Die Füsse im Sand, die frische Meeresbrise in den Haaren, die wärmenden Sonnenstrahlen im Gesicht.
Nikis eingeschränkte Mobilität gibt uns den Anstoss, neue Perspektiven in unseren Erkundungsmodus einzubauen. Wir setzen uns in roten ganzkörper Anzügen in ein Whale Watching Boot und bestaunen Robben, Seelöwen, Otter und Grauwale. Als krönenden Abschluss gönnen wir uns eine Spritztour mit einem Wasserflugzeug. Die wummernde Maschine aus den 80er Jahren spiegelt sich im satten Blau des Pazifiks, zeigt uns das mächtige Inselarchipel von oben und ermöglicht uns den Blick auf entfernte Berggipfel.
USA (Unerhört Schnelle Autofahrer & Unglaublich Schöne Ausblicke)
Der Grenzübertritt mit der Fähre von Kanada in die USA verläuft überraschend reibungslos und effizient. Doch was nun? Der Regen lässt uns die ersten Nationalparks streichen und auf besseres Wetter im Süden hoffen. Die Fahrt ist anstrengend und eintönig, die Zweckstopps wenig prickelnd. Wir kaufen uns ein kleines E-Piano und sorgen damit für Unterhaltung während den regnerischen Abenden. Tagsüber verweilt das Klavier, den Platzverhältnissen geschuldet, unter der Bettdecke.
An der Ostküste Oregons macht der graue, mystische Küstenabschnitt einem paradiesischen Meer mit zackigen Felstürmen Platz. Das Zuhause von Vögeln, Robben und anderen Meeresbewohnern. Nur wenig weiter im Inland erkunden wir die Redwoods. Die mächtigen, uralten Bäume mit ihren riesigen Stämmen strahlen Ruhe aus, die uns klein und vergänglich erscheinen lassen.
Zu Lenas Geburtstag verbringen wir die erste Nacht nach über zwei Monaten ausserhalb von Burrito (ein riesen Dank hier nochmals an die grosszügigen Eltern ;-)). Shelter Cove, ein abgelegenes kleines Dorf, hätten wir, wohl zu unrecht, sonst nicht angesteuert. Seele baumeln lassen, Wärme tanken, Lesen, Tiere beobachten, Backen und gut Essen.
Der folgende Küstenabschnitt ist einer der schönsten der Westküste. Leider gibt uns der hartnäckige Nebel den Blick nicht frei. Wir fahren weiter nach San Francisco und sind überrascht, gerade in der für den Nebel bekannten Stadt blauen Himmel anzutreffen. Die alten Strassenbahnen, die steilen Hügel und die gemütlichen Viertel der pulsierenden Metropole ziehen uns in ihren Bann. Unser Stellplatz direkt neben der imposanten roten Brücke rundet das Erlebnis ab. Doch die Entdeckerlust treibt uns rastlos weiter zu den im Inland gelegenen Nationalparks und den damit verbundenen Erwartungen an neue Abenteuer in der Vertikalen.