Rauchzeichen
Kapitel 2
Wo Wildnis unberührt bleibt oder übertouristisiert wird
Ungemütlich gemütlicher Begleiter
Unerwarteterweise paart sich die riesige Freude, endlich angekommen zu sein, mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust. Jetzt bestimmt nicht mehr Fahren, Essen und Schlafen unseren Alltag, sondern wir. Wir müssen wieder etwas tun, planen, aktiv sein, sightseen, … Obwohl nein, wir ‘müssen’ nichts. Unser innerer Schweinehund bekommt zeitweise mehr Auslauf als wir. Wir packen zum ersten Mal unser Klettermaterial in die Rucksäcke, lassen Burrito mit dem Kläffer zurück und machen uns auf den Weg zum Klettergarten. Und zack zeigt der Hebel wieder Richtung Entdeckermodus.
Roter Faden
Das Klettern hat uns in der Vergangenheit immer wieder an Orte geführt, die wir sonst wohl kaum aufgesucht hätten. Das soll auch in Nordamerika nicht anders sein. Im Nationalpark Banff machen wir «Kletter-Sightseeing»: Wir fahren an touristische Orte wie zum Lake Louise und amüsieren uns ab den Touristenmassen, die sich am einen Seeende tummeln (Achtung: mit Popcorn wäre dies ein tagesfüllendes Programm). Mit jedem Schritt Richtung Klettergebiet am hinteren Ende des Sees wird das Geknipse der Kameras leiser, die Menschen weniger und der Weg schmaler. Das Tolle an dieser Art des Unterwegsseins: Wir begegnen immer wieder Gleichgesinnten, die uns mit Tipps überhäufen und unsere Lust zum Klettern in Kanada befeuern.
Anders als in der Schweiz gibt es hier viele Gegenden, in denen Routen ohne Bohrhaken der Standard sind. Es ist also an der Zeit, unser Kletterwissen mit Neuem zu ergänzen. Wir buchen einen zweitägigen Trad Kurs. [Erklärung für Nicht-Kletterer: Trad Climbing, auch bekannt als Traditional Climbing, ist eine Form des Kletterns, bei der sich die Kletterer fortlaufend durch selbst platzierte Sicherungsmittel absichern.] Unser Guide Tom macht einen grossartigen Job und versorgt uns zudem mit einer langen To-do-Liste für Trad Klettereien in Kanada. Als zweiter Kurstag geht‘s auf eine gemeinsame Mehrseillänge im Yoho Nationalpark. Der Stau am Einstieg lässt Tom ungeduldig werden und Alternativen planen. Doch die perfekten Bedingungen lassen uns noch ein wenig verharren und dann doch entlang der eindrucksvollen Takakkaw-Falls klettern. Ein Highlight auf der Tour ist der 60 Meter lange Tunnel, durch den wir vor der letzten Seillänge robben. Einmal mehr sind wir wieder beeindruckt von der Offenheit der anderen Kletterer, die wir auf der Tour antreffen: Wir tauschen uns über Routen aus, schmieden Pläne für Amerika und erfahren mehr über das Leben und Arbeiten in Kanada.
Not-Brot
Was es hier im Supermarkt an Brot zu kaufen gibt, können wir generell nur als «Not-Brot» bezeichnen. Mehrheitlich bestehend aus Luft, dient es lediglich als Snack für zwischendurch, aber weniger als nahrhaftes Picknick. Da wir etwas dergleichen bereits geahnt hatten, haben wir einen Luxusartikel mitgenommen: Den Omnia Backofen. Das erste richtige Brot nach über einem Monat «Not-Brot» nährt zwar mehr, ist aber ähnlich schnell verputzt.
Rucksack Gebimmel
Wie es sich für Besuche in den kanadischen Nationalparks gehört, rüsten wir uns mit Glöcklein, Trillerpfeife und Bärenspray aus. Beim Zustieg zu den Kletterwänden zerkratzen die Beerenbüsche unsere Schienbeine. Merkwürdig überrascht fragen wir uns in diesen Momenten wiederholt: «Hätten wir vielleicht unsere Bären-Schutzausrüstung mitnehmen sollen?». Möglicherweise liegt die Ursache des Vergessens in den stark strapazierten Nerven, die mit dem Gebimmel am Rucksack kommen…
Mit der insgeheimen Hoffnung, vielleicht doch noch ein paar wilde Tiere zu Gesicht zu bekommen, lassen wir uns früh morgens auf entlegenen Schotterpisten durchrütteln. Die Ausbeute der Offroad-Tour: Ein Rebhuhn.
Doch wie sagt man so schön: Wenn man am wenigsten damit rechnet, trifft es einen. Auf einer unspektakulären kurzen Wanderung stehen uns plötzlich zwei Rocky Mountain Sheep gegenüber, die genüsslich am und auf dem Weg ihr Abendessen verzehren und uns eiskalt ignorieren.
Auf und neben den Strassen
Weniger gutes Kletterwetter ist perfekt für Erkundungstouren mit Burrito. Bei der Fahrt durch die Nationalparks achten wir für einmal zu wenig auf den Tankfüllstand. Wir überschlagen grob, wie weit uns der Tank noch reichen sollte. Die folgenden 80 Kilometer zur nächsten Tankstelle fahren wir zunehmend weniger entspannt. Bibbernd und mit reduziertem Tempo kämpft sich Burrito die Passstrasse hoch und rollt auf der anderen Seite – um einiges entspannter als wir – wieder runter. Zwei Erkenntnisse bleiben uns von dieser Zerreissprobe: unser Tank ist grösser als 90 Liter und ein Notfall Extra Tank wäre definitiv eine sinnvolle Anschaffung.
Nach dieser Fahrt müssen auch wir unseren Tank wieder füllen und steuern deshalb das einzige Kaffee an, welches laut Google Maps auf der Strecke liegt. Im kleinen Kaff Spillimacheen gibt es nicht viel mehr als ein paar Häuser und eben «Beeland» – ein unscheinbarer Laden, der mit vielen lokalen Leckereien, gutem Kaffee und italienischen Delikatessen überrascht. Eine echte Trouvaille! Beim Bezahlen unserer Lachs-Ravioli bekommen wir den Tipp vom Ladenbesitzer, doch zu den Wasserfällen der Bugaboos (Bergkette) zu fahren. Wir hatten die eindrückliche Gegend aufgrund der Waldbrände bereits abgeschrieben. Der Empfehlung eines Lokalen nicht zu folgen, wäre aber doch eine Schande! Also fahren wir zu den Wasserfällen. Und dann gleich weiter für eine Stunde über eine schlechte Schotterstrasse mit wassergefüllten Schlaglöchern (Burrito dräcklet gerne ;-)) bis zum Parkplatz am Ende der Strasse. Am Fusse der mystischen, wilden Berge parken wir Burrito und schützen ihn mit Drahtzaun vor Mardern. Das Wetter bleibt allerdings schlecht und so fahren wir am nächsten Morgen den Weg zurück und legen nochmals einen Ravioli-Stopp ein.
Aufwühlende Eindrücke
Für den Weg vom Nationalpark Banff über Jasper und Whistler nach Squamish planen wir vier bis fünf Tage ein. Doch so schön und eindrücklich die Gegend ist, so repetitiv scheint sie uns. Dazu kommt die ernüchternde Erkenntnis, dass wir uns die wilde Bergwelt Kanadas für die nächste Reise aufsparen müssen. Denn, entweder man nimmt einen langen Fussmarsch auf sich (Nicolas Fuss möchte das noch nicht) oder aber man bucht den Shuttlebus ein Jahr im Voraus. Was uns also bleibt, sind die einfach zugänglichen und teilweise absurd kommerzialisierten Touri-Spots. Der Gong gibt uns ein Halt am Athabasca Glacier. Mit zeitweise acht Bussen gleichzeitig karren sie die Touristen auf (!) den Gletscher. Der Anblick schmerzt. Und lässt uns aufs Gaspedal drücken.
In Jasper empfängt uns eine Gruppe Hirsche, die entspannt am Strassenrand für die Vorbeifahrenden posieren. Wieder einmal fragen wir uns, wieso wir in den entlegenen Gebieten nahezu keine Wildtiere sehen, dafür auf Stadtparkplätzen und am Stadtrand umso mehr.
Die Weiterfahrt nach Whistler zeigt uns ungeschönt, wie verzerrt unser Bild in Europa von den First Nations ist. Die «stolzen Indianer» leben hier am unteren Ende der Gesellschaft. Düstere und verlotterte Häuser säumen die Hauptstrasse und machen die elenden Lebensverhältnisse deutlich. Lilloolet, das Ausgangsdorf zu Zeiten des Goldrausches, hat zwar viel von seinem Glanz verloren, beglückt uns jedoch für einmal mit richtig gutem Sauerteigbrot. Weiter nach Whistler. Wir erwarten ein hübsches Bergsportdorf und bekommen einmal mehr das Gefühl, in einem Europa Park Abklatsch der Schweiz gelandet zu sein.
Smoke
Die Nachrichtenseiten weltweit berichten über die verheerenden Waldbrände in weiten Teilen Kanadas. In den östlichen Rocky Mountains erleben wir die Auswirkungen nur indirekt durch den «Smoke». Die Rauchwolken der Feuer legen sich nebelartig über die Berggipfel und lassen die sonst klaren Silhouetten unscharf erscheinen. Je weiter wir Richtung Westen fahren, desto präsenter werden die nach wie vor wütenden Feuer: gesperrte Klettergebiete, nicht enden wollende Sonnenauf- und -untergänge und gigantische niedergebrannte Waldflächen. Ein beklemmendes Gefühl bleibt.